Angeborene Herzfehler lassen sich mit moderner Chirurgie korrigieren. Heilung wird oft nicht erreicht
von Ingrid Kupczik
Jedes hundertste Kind kommt mit einem Herzfehler auf die Welt - und hat bessere Chancen als je zuvor, ein langes Leben zu führen. Noch Anfang der 70er-Jahre erreichte nur die Hälfte aller Jungen und Mädchen mit einem angeborenen Herzfehler das Erwachsenenalter. Heute sind es weit über 90 Prozent. „Unser früheres Ziel war es, die Sterberate zu senken. Das haben wir erreicht. Jetzt lautet unser Ziel: Normalisierung der Lebensqualität und der Lebenserwartung”, sagte Professor Dr. Peter Lange, Leiter der Klinik für angeborene Herzfehler des Deutschen Herzzentrums Berlin, anlässlich des Europäischen Kardiologenkongresses diese Woche in München.
Dank der Fortschritte in der Kinderkardiologie und Herzchirurgie ist in den vergangenen Jahren in Deutschland und den westlichen Industrienationen eine neue Patientengruppe entstanden, die langsam, aber unaufhörlich wächst und in den nächsten Jahren vermutlich große Bedeutung gewinnen wird: Erwachsene mit angeborenem Herzfehler. Das Kernalter dieser Gruppe liegt zwischen 20 und 35 Jahren. Die Männer und Frauen kamen mit einem Loch in der Herzscheidewand auf die Welt, mit falsch mündenden Lungenvenen oder verlagerten Arterien, einem unterentwickelten linken Herzen oder der Fallotschen Tetralogie, einer komplexen Fehlbildung. Mit Skalpell und Katheter wurde ihr Hohlmuskel schon im Babyalter funktionstüchtig gemacht. „Es ist eine Reparatur, keine Heilung”, sagt Professor Lange.
Die meisten Herzfehler könnten zwar erfolgreich behandelt werden, doch je nach Art und Ausprägung der Fehlbildung seien viele Betroffene ihr Leben lang chronisch krank und benötigten fachkundige Betreuung. Genau daran aber hapert es offenbar: „Sobald diese Patienten erwachsen werden, landen sie in einer Versorgungslücke.” Kinderkardiologen sind mit den internistischen Problemen der Erwachsenen nicht vertraut und ohnehin nicht zuständig für volljährige Patienten. Erwachsenenkardiologen wiederum haben es in erster Linie mit Koronar- und Klappenproblemen zu tun, sie besitzen aber kaum Erfahrung mit den Besonderheiten angeborener Herzfehler, von denen in der Fachliteratur mindestens 70 Varianten beschrieben werden. „Sie sehen in ihrer Praxis pro Jahr vielleicht einen oder zwei solcher Spezialfälle”, sagt Professor Lange, Sprecher des Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler. Das Kompetenznetz plant die Einrichtung von vier Spezialzentren („EmaH”-Zentren), angegliedert an Uni-Kliniken unter anderem in Berlin und Münster, in denen Betroffene kompetent betreut werden sollen.
Die Hälfte der mehr als 300 000 Patienten mit angeborenem Herzfehler in Deutschland ist inzwischen erwachsen. Bei vielen muss die Herzfunktion regelmäßig überprüft, die Medikamentendosis angepasst werden; Klappen, Stents und Flicken brauchen Kontrolle. „Bei manchen Behandlungstechniken fehlt uns noch die langfristige Erfahrung”, räumt Professor Lange ein. Zu neu sind zum Beispiel die Schirmchen zum Stopfen von Löchern in der Herzscheidewand. Erst seit Ende der 90er-Jahre im Einsatz, haben sie schon vielen kleinen Herzpatienten den großen Schnitt am Brustkorb erspart: Über einen dünnen Katheter führt der Chirurg ein Doppel-Schirmchen von der Leiste direkt zum Defekt in der Herzscheidewand, wo es sich entfaltet und das Loch beidseitig abdichtet. „Das funktioniert großartig, aber keiner weiß, ob sich diese Reparatur in späteren Jahren auf die Herzfunktion auswirkt”, so Professor Lange.
Patienten, deren Herzfehler in frühen Lebensjahren erfolgreich korrigiert wurde oder sich, wie manchmal möglich, von allein „auswuchs”, fühlen sich über Jahre vollkommen gesund, entwickeln aber zum Teil mit 20 oder 30 Jahren Herzprobleme: Rhythmusstörungen, Herzschwäche. Bisher gingen die Forscher davon aus, dass es sich um „sekundäre” Defekte handle, um einen Langzeiteffekt des primären Herzfehlers, etwa minimale Veränderungen im Blutfluss oder Gewebeschäden.
Von einer „genetischen Zeitbombe” sprechen dagegen Wissenschaftler der University of California. Primär- und Sekundärdefekte haben ihrer Auffassung zufolge dieselbe genetische Basis. In ihrer kürzlich in „Cell” vorgestellten Studie belegten sie dies an Mäusen: Ein Defekt des Gens Nkx2-5, der bei der embryonalen Herzentwicklung eine Schlüsselrolle spielt, führte dazu, dass die Versuchstiere mit einem Loch in der Vorhofscheidewand geboren wurden - der Atriumseptumdefekt ist auch ein typischer Herzfehler beim Menschen. Die negative Wirkung des Gendefekts hielt offenbar unvermindert an und sorgte bei den mittlerweile ausgewachsenen Tieren für eine Störung der Reizweiterleitung sowie die Wucherung von Herzgewebe, Basis für gefährliche Arrhythmien und Insuffizienz. „Die Annahme, dass ein Herzfehler mit moderner Chirurgie behoben werden könne, ist nur kurzfristig richtig”, resümiert Studienleiter Kenneth Chien.
Artikel erschienen am 5. September 2004